Ich berate Dich gerne.
Anneke Schmeer, Customer Success Managerin
von Marian Bosse
| zuletzt aktualisiert am 06.06.2023
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- New Work
Priorisieren ist leicht: das Wichtigste zuerst – sollte man meinen. Doch zu oft findet die Gewichtung und Anordnung der Aufgaben zu einseitig, subjektiv und von teils gefährlichem Halbwissen oder Machtverhältnissen getragen statt. Ein probates Mittel zur Identifikation der schnellsten Wertgenerierung und der guten Priorisierung von agilen Backlogs ist Weighted Shortest Job First. Let’s dive into it!
Was ist WSJF?
WSJF (Weighted Shortest Job First) ist eine Methode, die Product Owner zur Priorisierung eines Backlogs oder Projektportfolios nutzen können. Die WSJF-Methode stammt ursprünglich aus dem SAFe-Framework und wurde von Don Reinertsen entwickelt.
Welchen Job erledigt das Team als nächstes, welche Tasks können warten? Die Methode WSJF wird vom Product Owner (PO) eingesetzt, um ein gemeinsames und unmissverständliches Verständnis von der relativen Wichtigkeit einer Aufgabe zu erlangen und so ihre Position im Backlog zu bestimmen. Entscheidend hierbei ist die Frage, mit welchem Aufwand sich durch die Erledigung einer Aufgabe (oder wie hier: eines “Jobs”) welcher Wert generieren lässt.
Um dies herauszufinden, wird über eine relative Schätzung und die mathematische Auswertung verschiedener, in Bezug stehender Werte eine eindeutige Zahl (“WSJF-Wert”) errechnet, die zur Priorisierung herangezogen wird. Je höher der Wert, desto höher sollte das Team den Job priorisieren.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass WSJF nur bei unabhängigen Vorhaben eingesetzt werden soll – WSJF kann keine Abhängigkeiten zwischen zwei oder mehr Vorhaben abbilden. Die mittels WSJF priorisierten Vorhaben sollten also nicht in Abhängigkeit zueinander stehen, sondern so geschnitten sein, dass sie eigenständig werthaltig sind.
Wie wird der WSJF berechnet?
In den WSJF werden zwei Variablen miteinander verrechnet:
die Kosten der Verzögerung (Cost of Delay), die entstehen, wenn ein Vorhaben erst später umgesetzt wird, bestehend aus:
dem Mehrwert für den Kunden bzw. das Unternehmen ("Business Value") plus
der Zeitkritikalität plus
dem Wert der Risk Reduction oder Geschäftsentwicklung – also von Maßnahmen, die ein bestimmtes Risiko verringern oder neue Vorhaben erst möglich machen
im Verhältnis zur Größe des Vorhabens, also dem Aufwand bzw. der Job Size.
Im Ergebnis zeigt uns der WSJF-Wert dann an, mit welcher Reihenfolge der Umsetzung wir am schnellsten den höchsten Return on Invest (ROI) generieren werden. Wie genau wir anhand von Schätzverfahren dahin gelangen, schauen wir uns jetzt Schritt für Schritt an.
Wie funktionieren WSJF-Schätzungen?
Ein wichtiger Faktor für das Funktionieren von WSJF sind relative Schätzungen, wie wir sie auch schon von Story Points kennen. Bei dieser Art von Schätzungen geht es nicht darum, den absoluten Wert für eine der Variablen zu ermitteln (z.B. "100.000 EUR Business Value"), sondern einen Wert, der relativ zu den anderen Optionen betrachtet wird.
Wenn wir mehrere Optionen für als nächstes zu erledigende Aufgaben in unserem Portfolio haben, vergeben wir unterschiedliche Werte, beispielsweise von 1-10. Damit schätzen die Teammitglieder den Business Value der Optionen in Relation zueinander.
Die besten Ergebnisse erhalten wir erfahrungsgemäß, wenn wir für die verschiedenen Variablen die Fibonacci-Reihe als Schätzbasis verwenden.
Für WSJF Schätzungen empfehlen wir die Methode Magic Estimation, die uns erlaubt, viele Optionen auf einmal in einen relativen Bezug zu setzen.
Die WSJF-Vorgehensweise
Zur Ermittlung der einzelnen Werte ist es sinnvoll, die verschiedenen Vorhaben bzw. Jobs auf Karten auszudrucken oder aufzuschreiben, um sie entsprechend zuzuordnen bzw. die relative Verteilung visuell transparent zu machen. Es empfiehlt sich – gerade bei noch unerfahrenen Gruppen – zunächst nach den Ausreißern zu suchen. Das bedeutet, zunächst die Vorhaben zu bestimmen, die den geringsten bzw. den höchsten Wert haben und diese als Referenz zu verwenden.
So ermitteln wir den WSJF
Zunächst ordnen wir die Vorhaben relativ zueinander hinsichtlich ihres Business Values ein und notieren die entsprechenden Werte auf den Karten.
Im nächsten Schritt bewerten wir die Zeitkritikalität der Vorhaben relativ zueinander. Hier empfiehlt es sich, mit Cost-of-Delay-Klassen zu arbeiten. Wichtig: Für Vorhaben, die nur Wert generieren, wenn sie zu einem festen Datum abgeschlossen sind, steigt der Wert der Zeitkritikalität mit Herannahen dieses Datums drastisch, liegt aber vorher meist sehr niedrig.
Nun ordnen wir die Risk Reduction / Geschäftsentwicklung (Opportunity Enablement), die mit der Erledigung des Jobs einhergeht, relativ ein
Zu guter Letzt betrachten wir die Job Sizes relativ zueinander, schätzen also, wie sich die Jobs in ihrer Umsetzungsdauer zueinander verhalten
Jede einzelne Bewertung sollte mit allen Optionen, die wir auf dem Tisch haben, für sich durchgespielt und die jeweils ermittelten relativen Werte festgehalten werden. Dabei ist es von kritischer Bedeutung, innerhalb der einzelnen Metriken den Blick einzig und allein auf die jeweils zu betrachtende Metrik zu fokussieren, damit es nicht zu einer Vermischung von Bewertungsdimensionen kommt.
Erst, wenn alle Einzelmetriken auf diese Weise erfasst wurden, wird anhand der oben genannten Formel der WSJF-Wert für die anstehenden Jobs errechnet.
Beispiel
Stellen wir uns vor, Job 1 hat eine Cost of Delay von 3, ist aber relativ groß, eine 8. Der WSJF-Wert ist 0,375. Job 2 hingegen ist zeitkritischer und hat deshalb eine CoD von 5 und ist noch dazu nur halb so groß, Job Size 2. Der WSJF beträgt hier 2,5 und zeigt klar an, dass Job 2 höher priorisiert werden sollte.
Nachdem nun jedes Vorhaben mit einem eindeutigen – das bedeutet: vergleichbaren – WSJF-Wert versehen ist, werden die Vorhaben in der entsprechenden Reihenfolge in eine Tabelle oder ein Backlog sortiert. Dieses Backlog zeigt uns nun eine gewichtete Sequenz zur Abarbeitung der Vorhaben an.
Herausforderungen der WSJF-Methode
Das ist genau der Moment, in dem sichtbar wird, dass bestimmte Vorhaben erstmal keine Relevanz bzw. einen zu geringen Wert haben und warten müssen – und mit Sicherheit der Moment, in dem zumindest anfangs Störgefühle entstehen können. Denn war nicht der eigene Need gefühlt der größte? Darüber sollten die Beteiligten jetzt sprechen und überprüfen, ob sie vielleicht etwas übersehen haben oder es allen Metriken zum Trotz gute Gründe für die Organisation gibt, weniger werthaltige Vorhaben weiter oben in der Sequenz zu platzieren. Vielleicht lässt die Ressourcenlage oder die Teamverteilung es im Moment nicht zu, genau diese Reihenfolge einzuhalten. Solche Argumente dürfen durchaus diskutiert und berücksichtigt werden – nicht aber der grundsätzliche Rahmen und die damit einhergehende Bewertung.
Viele Organisationen müssen sich erst an die sequenzielle Bearbeitung von Themen gewöhnen. Oft wurden in der Vergangenheit zu viele Vorhaben gleichzeitig gestartet oder Angehörige des höheren Managements waren gewohnt, immer zu bekommen, was sie wollten, unabhängig vom Wert für die Organisation.
Die Operationalisierung methodisch kontrollierter Priorisierung bedeutet oft einen Paradigmenwechsel – und entsprechend starke Product Owner und Portfoliomanager:innen, die sich schützend vor die Methode stellen.
Fazit: WSJF bietet einen gemeinsamen Bezugsrahmen
Mit der WSJF-Methode ermitteln wir nicht nur einen operationalisierten Wert, der uns Aufschluss über unsere Priorisierung erlaubt, sondern wir erhalten vor allem eine strukturierte und granulare Betrachtung der verschiedenen Metriken, die uns zu diesem Wert geführt haben.
Der Vorteil liegt in der dadurch hergestellten Transparenz und dem gemeinsamen Bezugsrahmen, den wir in der Anwendung der Methode gewinnen. Daher sollten bei der Ermittlung des WSJF Wertes alle Stakeholder der zu priorisierenden Vorhaben mit einbezogen werden. Sie können bei Fragen zu den einzelnen Metriken oder Inhalten der Vorhaben Auskunft geben und müssen das Ergebnis der Priorisierung am Ende auch mittragen. Das gelingt wie so oft immer dann am besten, wenn das Vorgehen transparent, kollaborativ und methodisch kontrolliert ist.